Unser Wertekompass - Was uns leitet und verbindet.
HALT GEBEN. HALTUNG LEBEN.
Im Februar 2020 hat das Bundesverfassungsgericht das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe für rechtswidrig erklärt. Obwohl das Bundesverfassungsgericht dies nicht ausdrücklich gefordert hat, begann ein neues Gesetzgebungsverfahren, das alle Beteiligten und Betroffenen vor große Herausforderungen stellt. Bei vielen Mitarbeitenden von Palliativstationen, Hospizen und Pflegeeinrichtungen ist vorrangig der Wunsch entstanden, ihre Werte und Haltungen zu verbalisieren.
„Wir, das Team des Kinderpalliativzentrums Datteln, verstehen uns als Fürsprecher unserer Patient:innen, der Eltern und aller, die uns unterstützen.“
Prof. Dr. Boris Zernikow – Chefarzt Kinderpalliativzentrum Datteln
In Reaktion auf die Diskussion über Tötung auf Verlangen auch von Kindern in den Niederlanden und die Suizidbeihilfe in Deutschland sowie in Reaktion auf eine Gesellschaft, die kranken und behinderten Kindern immer feindseliger gegenübertritt, haben wir uns entschlossen, unsere Werte zu diskutieren und öffentlich zu machen. So ist in enger Zusammenarbeit der Mitarbeitenden ein Wertekompass entstanden, den wir über das Jahr 2023 hinweg regelmäßig im Team diskutiert und auf unterschiedlichen Kanälen in die Öffentlichkeit getragen haben.
10 Haltungen zum Leben
Unser Wertekompass umfasst 10 Themen, in denen wir unsere Haltung zum Leben, zu unserer Arbeit und zu unseren Patient:inen zusammengefasst haben – angelehnt an die 10 Gebote aus der Bibel. Ergänzt wurden die 10 Haltungen durch 2 Motive zu den Themen „Ehrenamt“ und „Fundraising/Solidarität“.
Jedes Kind ist einmalig. Jedes Kind verfügt über seine unverfügbare Würde. Wir begegnen jedem Kind unabhängig von seinen Fähigkeiten zu kommunizieren und am Leben teilzuhaben mit derselben liebevollen Zuwendung und demselben Respekt. Wir unterstützen die Eltern und bestärken die Familie darin, Beziehungen zu ihrem Kind aufzubauen und zu gestalten, auch und gerade wenn die prognostizierte Lebensspanne des Kindes kurz ist.
Wir respektieren das Ende des Lebens. Wenn der Zeitpunkt gekommen ist, lassen wir das Sterben zu. Suizidassistenz oder Töten von Menschen lehnen wir ab.
Die Kinder und ihre Familien stehen im Zentrum unserer Versorgung. Wer zur Familie gehört, liegt im Ermessen des Kindes und der Eltern. Wir begegnen jedem Familienmitglied mit derselben Wertschätzung und demselben Respekt. Die Individualität der Familie ist ein großer Wert.
Das Wohl des Kindes und seiner Familie sind für uns handlungsleitend.
Die liebevolle Zuwendung als Basis unserer Arbeit ist demütig und bescheiden, authentisch und bedingungslos. Sie erkennt Grenzen an: eigene und die der Anderen. Ökonomische Aspekte sind wichtig, aber für die individuelle Patient:innenversorgung nicht handlungsleitend.
Sinnfragen des Lebens sind zentrale Elemente unseres Arbeitens. Unser Denken und Handeln basieren auf christlichen Werten. Wir achten andere Formen der Religion und Spiritualität als gleichwertig. Wir folgen der Sicht Vaclav Havels, dass Hoffnung nicht die Überzeugung ist, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal, wie es ausgeht.
Wir respektieren die Autonomie des Kindes und seiner Eltern. Gemeinsam mit dem Kind und seiner Familie erarbeiten wir die Ziele ihrer individuellen Palliativversorgung. Wir begegnen den Wünschen der Kinder und ihrer Familien offen und akzeptieren ihren Weg der Entscheidungsfindung. Wir erarbeiten Entscheidungsvorschläge sorgsam im multiprofessionellen Team und bei Bedarf mit professioneller Unterstützung einer Person, die nicht zum Versorgungsteam gehört.
Vielfalt im Team betrachten wir als großes Geschenk. Jede/r Einzelne erbringt einen wichtigen und wertvollen Anteil an der Gesamtleistung. Jedem neuen Teammitglied wird Zeit gegeben, sich ins Team und in ihre/seine Aufgaben einzufinden.
Wir reden miteinander und nicht übereinander. Wir hören uns gegenseitig zu und achten aufeinander. Lob und Freude über die Ideen und Leistungen anderer werden offen kommuniziert. Kritik findet im ruhigen Rahmen und auf der Sachebene statt. Wir leben eine gesunde Fehlerkultur, sind bereit, uns zu korrigieren und eigene Fehler auszusprechen. Wir fördern eigenverantwortliches Denken und Handeln. Wir leben die partizipative Führung und sind offen dafür, neue Ideen auszuprobieren. Selbstfürsorge ist ein wichtiger Teil unserer Professionalität. Wir sind tolerant, solidarisch, loyal und anständig.
Wir geben Raum für die Emotionen der Kinder, Familien und Mitarbeiter:innen. In der Begleitung dürfen wir, das multiprofessionelle Team, traurig sein und weinen, aber auch lachen und Lebensfreude ausdrücken.
Die palliative Versorgung kann parallel zu einer auf Heilung oder das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamenden Therapie erfolgen. Wir unterstützen jedes Kind und seine Eltern bei den Dingen, die es/sie eigenständig umsetzen kann/können. Wir bitten das Kind und seine Eltern um Erlaubnis, ihm/ihnen respektvoll und wertschätzend Hilfestellungen und Beistand anbieten zu dürfen. Auch die Palliativversorgung in der letzten Phase des Lebens erfolgt mit dem Ziel, Leiden zu lindern. Über Maßnahmen, ohne die eine Verringerung belastender Symptome nicht möglich ist, bei denen aber die Möglichkeit besteht, dass der natürliche Prozess des Sterbens verkürzt wird, klären wir die Eltern und, wenn es möglich ist, auch das Kind angemessen auf. Den Sterbeprozess gestalten wir so, dass er im Einvernehmen mit den Wünschen der Patient:innen und der Familie und frei von vermeidbarem Stress und Leiden für die Patient:innen, die Familie und die Versorgenden ist.
Die Kinder und Familien sollen bei uns die bestmögliche und nicht nur eine ausreichende Versorgung erhalten. Unsere Arbeit basiert auf den zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Erkenntnissen.
Forschung, Supervision, Intervision und Qualitätsmanagement tragen dazu bei, unsere Versorgung regelmäßig zu reflektieren und zu verbessern.
Die verstorbenen Kinder dürfen in ihrem Zimmer verbleiben, so lange es gut ist. Wir unterstützen und begleiten die Familie im Abschiedsprozess. Die verstorbenen Kinder werden am Eingang des Kinderpalliativzentrums vom Bestatter abgeholt und wir begleiten die Familie auf diesem schweren Weg. Das Team pflegt ein Abschiedsritual. Die Teilnahme an der Beerdigung wird ermöglicht und aktiv unterstützt. Wir bieten den Familien bedarfsgerechte Begleitung auch nach dem Tod des Kindes an und stehen weiterhin als Ansprechpartner:innen zur Verfügung. Mindestens jährlich gedenken wir in angemessener Form der verstorbenen Kinder.
Wir schenken Zeit und Zuwendung – frei von jeder Erwartung. Nichts ist für uns Ehrenamtler:innen erfüllender, als das Leben schwerstkranker Kinder und das ihrer Eltern und Geschwister für einen Moment leichter zu machen. Wir sind einfach da, entlasten für eine Weile – und fühlen uns selbst beschenkt. Mit einem Lächeln, oder wenn die Unruhe eines Kindes nachlässt, während wir sanft seine Hand streicheln. Wir erleben unbezahlbare Momente, die einfach nur glücklich machen. Das Zusammensein mit den Familien und im Team bereichert unser Leben. Wir bekommen viel Gutes zurück!
Nicht das „Ich“ ist entscheidend, sondern das „Wir“. Eine Gesellschaft ist immer nur so stark wie das schwächste Glied in ihrer Kette. Erst wenn wir füreinander eintreten, unsere eigenen Bedürfnisse auch mal zurückstellen, hinschauen und nicht wegsehen, erst dann zeigen wir wahre Stärke. Familien mit einem schwerstkranken Kind leben in ständiger Ungewissheit. Sie müssen für ihre Rechte kämpfen, wenn die Krankheit all ihre Kraft fordert. Unsere bedingungslose Solidarität schenkt ihnen Sicherheit, gibt ihnen Halt.
Du suchst eine neue Herausforderung?
Dann werde Teil unseres Teams! Wir freuen uns über Kolleg:innen aus dem pflegerischen, medizinischen und psychosozialen Bereich.
Kinderpalliativversorgung ganz nah
Alle Mitarbeitenden unseres Wertekompasses geben in Video-Interviews Einblick in ihren Stations-Alltag und in ihre Arbeit. Ärzt:innen, Pflegende, eine Therapeutin, eine Seelsorgerin, eine Ehrenamtlerin und eine Fundraiserin berichten aus unterschiedlichen Perspektiven von dem besonderen Teamgeist in unserer Einrichtung und von der Lebensfreude, die in jedem Winkel des Kinderpalliativzentrums zu spüren ist. Unser Wunsch ist es, Kinderpalliativversorgung in der Öffentlichkeit so darzustellen, wie wir sie verstehen: voller Leben, Lachen und Liebe!
Lernen Sie uns und das Team des Kinderpalliativzentrums näher kennen! In den Video-Interviews erzählen die Kolleg:innen, warum ihnen Haltung wichtig ist, was ihnen Halt gibt und wie sie den Stationsalltag erleben.