Hier ist das Interview mit Dr. Georg Rellensmann zum Nachlesen:

Was machst Du auf der Station Lichtblicke und im SAPV-Team?

Georg:
Ich arbeite auf der Station Lichtblicke und im SAPV-Team mit in der Patientenversorgung, zusammen mit all den anderen dort und das bedeutet praktisch, da komme ich jetzt gerade her, dass ich Kinder untersuche, vielleicht eine Blutentnahme mache, mir überlege, wie die Behandlung am besten sein sollte, dass wir gemeinsam mit den Eltern besprechen, was ihre Sorgen und Nöte sind, was wichtig ist zu tun, dass wir dann mit dem Pflegeteam schauen, wie es dem Kind geht, worauf wir achten wollen – das sind Dinge, die wir auf der Station tun. Und wenn ich nicht auf der Station bin und auch nicht gerade ambulant familienbesuche mache, dann habe ich manchmal auch Zeit darüber nachzudenken, wie wir das machen, wie wir am besten mit Familien sprechen in belastenden Situationen zum Beispiel oder wie irgendeine Form der Behandlung am besten gemacht wird oder einfach besser, als es heute geht.

Warum bist Du Kinderarzt geworden und seit wann bist Du das?

Georg:
Da muss ich lange zurückdenken aber ich weiß noch genau, warum ich Kinderarzt geworden bin, oder warum ich Arzt geworden bin. Ich habe mich nämlich immer interessiert für ganz verschiedene Fächer. Ich fand Biologie toll und Chemie, aber auch Psychologie, wie Menschen funktionieren, wie sie miteinander reden, Kontakt haben und Philosophie. Und dann kam ich einfach aus theoretischen Erwägungen drauf, dass Medizin das ganz gut vereint und hatte aber Sorge – so Krankenhaus kannte ich nur als unangenehmen Geruch und schlimme Situation und habe dann einfach ein Praktikum gemacht um rauszukriegen, ob das etwa gehen könnte. Und das hat Spaß gemacht, das war wirklich nett auf einer Station mit sehr netten Pflegenden und älteren Damen, bei denen ich die Betten mitmachen durfte und Heparin subkutan verabreichen und dann war es klar – aber das ist lange her. Es kam ja dann die Entscheidung, in welchem Fach ich starte und da ich immer gerne mit Kindern zusammen war und wir in der Familie auch Kinder haben, habe ich erst mal das gemacht, was mir lag. Und in der Pädiatrie hat es mir dann so viel Spaß gemacht, dass ich dageblieben bin. Und wenn die Frage ist, wie lange ist das her, muss ich richtig rechnen, und ich bin über 30 Jahre in Kinderkliniken unterwegs und Kinderarzt bin ich seit 28 Jahren – das ist ganz schön lang und kommt mir gar nicht so lange vor.

Wie hat sich die Kinderpalliativversorgung in den letzten Jahren verändert?

Georg:
Ja, ich bin mir gar nicht sicher, der ideale Kandidat bin, das zu beantworten, weil ich persönlich ja erst in den letzten fünf Jahren ausschließlich Palliativmedizin in der Pädiatrie betreibe. Aber ich habe lange schon in die Richtung geschaut und ich muss gestehen, dass ich ganz früher gedacht habe, Palliativmedizin ist wichtig, aber das macht ja jeder gute Arzt sowieso. Und inzwischen ist das Fach immer größer geworden und immer weiter ausdifferenziert, hat eigenen Fortbildungen entwickelt, es gibt eine eigene Struktur für ambulante Versorgung – total wichtig, sicher eine der wichtigsten Entwicklungen und es gibt sogar hier und da stationäre Strukturen und ich bin jetzt selber Palliativarzt geworden. Und wenn wir überlegen, was sich geändert hat oder was der große Bogen ist, dann ist, glaube ich, der Fortschritt an vielen Stellen, der liegt daran, dass wir versuchen, mehr patientenorientiert zu sein. Also wir versuchen, an allen Stellen in der Medizin und erst recht in der Palliativversorgung uns an dem zu orientieren, was für die Menschen, die Betroffenen selbst wichtig ist und wir versuchen, die Probleme aus ihrer Sicht zu sehen und ihnen dabei zu helfen, möglichst gut klarzukommen. Das ist die übergeordnete Entwicklung, die sich auch in der Palliativmedizin wiederspiegelt. Und eine Schwierigkeit, die uns alle gemeinsam betrifft, liegt daran, dass die Medizin so tolle Fortschritte gemacht hat. Das führt nämlich dazu, dass wir entscheiden müssen, welche von den vielen tollen Angeboten wir wahrnehmen wollen und welche nicht. Und das sind oft sehr schwierige Entscheidungen, die einfach Lösung, die es vielleicht vor fünfzig, sechzig Jahren noch gab, zu sagen, wir machen einfach alles, was es so gibt, die funktioniert nicht mehr.

Von wem und was lernst Du bei deiner täglichen Arbeit?

Georg:
Bei meiner täglichen Arbeit lerne ich von allen Beteiligten, das hängt immer sehr vom Kontext ab. Also ich erfahre zum Beispiel von den Psychologinnen, mit denen ich zusammenarbeite, welche großen Sorgen eine Familie hat und wie sie mit den Problemen umgeht und ich erfahren von einer Pflegenden, die gerade ein Kind versorgt hat, welche Lagerung funktioniert und was nicht geht oder wie das Kind atmet oder was dem Kind Angst macht. Und ich lerne von Kollegen, wie eine neue Behandlungsmethode funktioniert oder wie ein Medikament verabreicht wird.

Wer lernt von Dir?

Georg:

Ja, das müsste man ja am ehesten die fragen, die von mir lernen sollen, ob das wirklich funktioniert. Ich wünsche mir natürlich, dass bei unserer Arbeit im Team die anderen auch von mir lernen. Sie es ein junger Assistenzarzt, dem ich beibringen kann, wie man zerebrale Krampfanfälle behandelt oder sei es, dass ich merke, wie eine Familie funktioniert und mit dem psychosozialen Team zusammen darüber rede und da was beisteuern kann. Und vielleicht ist es auch manchmal so, dass es uns gelingt, Eltern einen Aspekt des Kindes/ der Krankheit so klarzumachen, dass sie besser verstehen, wie das funktioniert und wie sie mit ihrem Kind so umgehen können, dass es für alle weniger belastend ist – das betrifft so den Alltag. Und abseits vom Alltag hoffe ich, dass wenn ich die Gelegenheit habe mal einen Artikel zu schreiben oder eine Leitlinie oder an einem Buch mitschreiben darf, dass uns das so gelingt, dass neugierige Leser Inhalte finden, die für ihren Alltag relevant sind und die sie da anwenden können und so auch ein bisschen von uns lernen können.

Was hast Du heute schon gelernt?

Georg:
Also heute habe ich, ehrlich gesagt, im Wesentlichen eine Patientin aufgenommen, eine Jugendliche mit ganz vielen Besonderheiten und habe viel über dieses Kind gelernt und über die Familie und über die Eltern und wie das alles so funktioniert. Aber deine Frage zielt ja vielleicht so ein bisschen auf übergeordnete Dinge, die man lernt und deshalb erzähle ich gerne, was ich gestern Abend gelernt habe. Das waren nämlich zwei spannende Dinge. Wir haben hier ja viel mit schwierigen Lebenssituationen zu tun: sich umorientieren auf eine neue Prognose und damit zurechtkommen und deshalb finde ich es sehr spannend zu gucken, welche Rolle Hoffnung darin spielt und wie wir damit umgehen und wie das funktioniert. Worauf wir hoffen, wie Hoffnung sich auf neue Ziele richten kann und da habe ich gestern ein total spannendes Paper zu gelesen von einem Arzt und Palliativmediziner, den ich schon lange ganz toll finde und der viele Dinge dazu erarbeitet hat – das war schön.

Und eine andere Sache habe ich auch noch gelernt, das ist aber was Besonderes, das habe ich auch nicht jeden Tag, dass ich so etwas erfahre, und da muss ich aber kurz erklären, wie es kommt. Wir interessieren uns ja hier für palliative Situationen und da denken die meisten natürlich erst mal an Tod und an Leid und Schmerz und Atemnot und solche Dinge. Damit haben wir auch zu tun und damit muss man auch gut umgehen können aber wir interessieren uns natürlich genauso, vielleicht manchmal sogar mehr dafür, wie Menschen, die Zeit, die sie haben, die sie noch haben, gut nutzen können. Und wenn man irgendwelche Einschränkungen hat, körperliche Einschränkungen, dann ist Unterstützte Kommunikation ein wichtiges Thema. Wie kann man sich ausdrücken, mit anderen in Kontakt kommen, weil das macht das Leben gut, wenn man in Gemeinschaft ist, sich verstanden fühlt, was zusammen tun kann. Und ich hatte gestern mit unserer Ergotherapeutin über Unterstützte Kommunikation geredet, weil wir einen Patienten hatten, wo wir über solche Fragen nachgedacht haben und da hat sie mir erzählt von einem Video, was man gerade auf Youtube angucken kann, wo eine Gruppe von körperlich deutlich eingeschränkten Menschen, also das hat jetzt primär mal gar nichts mit unserer Palliativarbeit hier zu tun, die viel von Unterstützter Kommunikation profitiert, zusammen ein Rap gebaut haben. Und das ist irre! Das ist bewegend und ganz toll zu sehen, was man damit alles erreichen kann. Also wer dieses Video jetzt hier sieht, dem empfehle ich noch ein anderes bei Youtube zu gucken: Sprich mit mir! Im Augenblick ist es ganz oben, wenn man danach sucht. Wahrscheinlich kann man das auch irgendwie verlinken, aber das steht dann da auf der Website, denke ich:

Wie lauten Deine Wünsche für das Kampagnenjahr und darüber hinaus?

Georg:
Für unser Palliativteam, das Palliativzentrum, dieses Jahr und das, was danach kommt, wünsche ich mir ehrlich gesagt, dass wir weiter daran arbeiten und besser werden patientenzentriert zu arbeiten. Das ist so ein Wort und man denkt, das ist alles schon fertig, wenn man es ausgesprochen hat, das stimmt aber nicht. Und daran muss man, glaube ich, arbeiten. Es gibt so viele kleine Abläufe und Dinge, wo wir auch noch besser können und ich wünsche mir, dass wir da auch noch weitere Fortschritte machen, auch wenn wir da schon weit gekommen sind. Und nun haben wir hier in unserem Palliativzentrum für mein Empfinden sehr gute Arbeitsbedingungen, dadurch, dass wir so ein großes, buntes Team sind, was auf Augenhöhe gut zusammenarbeitet – das haben wir aber nur, und das ist mir sehr bewusst, weil wir auch sehr viele Unterstützer haben, die das überhaupt ermöglichen. Und ich wünsche mir zum einen, dass die Arbeit, die wir hier machen können und die uns ermöglicht wird, es kommt nicht nur von uns, dass die nach so eine gewisse Strahlkraft hat und andere das auch sehen und sich davon was abgucken können und da interessante Aspekte finden, die sie übernehmen. Und ich wünsche mir, dass die Unterstützer auch sehen, dass das so funktioniert. Und ganz zum Schluss wünsche ich mir für all die belastenden Situationen, die wir hier natürlich auch oft haben, und auch für anspruchsvolle Streite, man ist ja nicht immer einer Meinung, es gibt viele unterschiedliche Wege, wir unterstützen ganz viele verschiedene Menschen, Familien und Patienten, da wünsche ich mir für alle viel Toleranz und Gelassenheit.