Hier ist das Interview mit dem Oberarzt Jens Ortmann zum Nachlesen:

Wie sieht Euer Arbeitsalltag auf der Station Lichtblicke aus?

Jens:
Der Arbeitsalltag unterscheidet sich eigentlich gar nicht von dem aus anderen medizinischen Bereichen, denke ich mal. Also ich bin auch noch gar nicht so lange hier, aber vor zwei Jahren fing der Arbeitsalltag eigentlich auch damit an, dass man sich erst einmal eine Übergabe angehört hat und dann die dringenden medizinischen Probleme versucht hat zu klären. Dann gibt es natürlich auch bei uns Visiten mit dem multiprofessionellen Team, von daher dauert es dann auch immer ein bisschen länger. Was vielleicht bei uns ein bisschen anders ist als in den Akutkrankenhäusern ist, dass Gespräche einen deutlich größeren Raum und zeitlichen Bereich einnehmen, sowohl im Team – da brauchen die Visiten halt ein ganzes Stück länger – und dann ist das auf der Station Lichtblicke halt so, dass da auch relativ regelmäßig, zweimal am Tag, ausführliche Familiengespräche stattfinden, die dann auch jeweils eine Stunde dauern, so dass das dann viel Zeit einnimmt, was aber auch richtig ist und sehr interessant ist.

Welche Aufgaben hast Du auf der Station und im SAPV-Team?

Jens:
Im Ärztebereich kommen wir aus unterschiedlichen medizinischen Ecken. In meinem ersten Leben war ich Anästhesist und entsprechend kümmere ich mich hier auch manchmal Sedierung für diagnostische Eingriffe oder wenn in dem neu geschaffenen OP LichtHafen halt eingriffe sind, da bin ich nicht der Einzige, mache ich da natürlich auch gern die Narkosen und kümmere mich ums Drumherum, oder wenn es halt um Zugänge geht, venöse Zugänge, um halt entsprechende Medikamente je nachdem in welcher Phase zu verabreichen, wäre das auch einer meiner Schwerpunkte.

Welche Haltung braucht man, um hier zu arbeiten?

Jens:
Welche Haltung man haben muss…, ja man sollte halt primär ein Menschenfreund sein und Interesse daran haben, starke Motivation zu helfen, sich auf Dinge einzulassen, oder vielleicht andersherum: Womit man hier denke ich Probleme hätte, ist, wenn man denkt, man ist der tolle Helfer und drängt sich den Familien auf, mit einer ganz bestimmten Vorstellung, dass es so und nicht anders zu laufen hätte – das wird, denke ich, ziemlich sicher in die Hose gehen. Und das wird hier auch hochgehalten, ich finde zurecht, dass man primär unterstützend tätig ist, Hilfe anbietet, jeder halt aus dem Bereich, aus dem er kommt, um halt die Eltern, die Familien, in dieser Extremsituation möglichst optimal zu unterstützen ohne da irgendetwas vorzuschreiben oder zu sagen, das könnte jetzt aber anders laufen – wir sind halt primär unterstützend.

Ist der Tod allgegenwärtig bei der Arbeit?

Jens:
Der Tod ist nicht unbedingt allgegenwärtig, zumindest ist er nicht präsent. Überwiegend erlebt man hier sehr viel Lebensfreunde, und das nicht nur auf Seiten der Leute, die hier halt arbeiten, die die Kinder und Familien versorgen, sondern ganz deutlich auch auf der anderen Seite, und das ist das Schöne hier auch an der Arbeit. Davon war ich anfangs auch sehr überrascht, weil aus dem Erwachsenenbereich kenne ich das halt, wenn es da Leuten schlecht geht, dann ist das eigentlich eine ganz zentrale Frage, um die gedanklich die Angehörigen sehr kreisen. Hier erleben wir die Angehörigen häufig als sehr ambivalent. Auf der einen Seite erlebt man die Eltern sehr häufig, dass die natürlich bei ihren Kindern nach jedem Strohhalm greifen und im Internet unterwegs sind und etablieret und auch weniger etablierte Therapien sich anschauen und Beratung dazu wünschen. Und auf der anderen Seite, wo man dann denkt „Meine Güte“, nehmen die Eltern das Kind ganz anders wahr, als wir hier jetzt vom Team, kann das halt sein, dass die Eltern schon die Beerdigung mit dem Kind geplant haben und ganz genau wissen, wie es dann laufen soll – das läuft halt parallel. Aber das, was wir halt so wahrnehmen und was –glaube ich- auch dem Kind gegenüber ausgedrückt wird, ist halt sehr viel Hoffnung und ein unglaublicher Lebenswille und dadurch auch ganz viel Lebensqualität, die bis zum Ende hier zu spüren ist. Und wenn dann mal, was selten ist, hier Kinder versterben, läuft das total unterschiedlich ab, das ist so individuell wie die Leute auch sind, da gibt es kein Schema, das man dann abspult. Unser Job, gerade im medizinischen Bereich, ist halt sich um die Symptome zu kümmern, dass die Kinder keine Schmerzen haben, keine Luftnot, dass man halt Ängste der Kinder, auch der Eltern anspricht, mit den Eltern drüber spricht, wobei da primär die anderen Professionen, also die Psychologinnen und Psychologen dichter dran sind, aber das ist halt total individuell, da gibt es nicht den typischen Verlauf.

Was geschieht auf der Station, wenn ein Kind stirbt?

Jens:
Wenn ein Kind dann doch hier stirbt, ist das schöne im Vergleich zu anderswo, dass man halt wirklich Zeit dafür hat und Raum. Wir versuchen uns, wenn das halt absehbar ist, möglichst zurückzuhalten, also den Eltern und Angehörigen möglichst viel Zeit mit dem Kind zu lassen und möglichst wenig zu intervenieren, sondern wirklich nur, wenn es um Symptomkontrolle geht, dass man dann halt die Hilfe anbietet. Ansonsten versucht man das schon mehr oder weniger lange bestehende System Familie so zu lassen, wie es ist und möglichst wenig von außen zu intervenieren. Den Eltern wird also ausreichend Zeit und Raum geboten vom Kind Abschied zu nehmen, mit dem Kind Sachen zu machen. Wir können Hilfestellung geben, irgendetwas drumherum zu organisieren, wenn das Kind noch irgendwelche Sachen sehen, machen, erleben möchte, ist das erstaunlich, was vom Team und vor allem von den Familien möglich gemacht wird. Wenn das Kind dann verstorben ist, ist es auch anders, als ich das in meinem ersten Leben, im Akutkrankenhaus kennengelernt habe, dass den Eltern über den Tod hinaus die Zeit gegeben wird, im Zimmer mit den Angehörigen Abschied zu nehmen, ganz wie es gewünscht ist.

Was gibt Dir Halt im Leben?

Jens:
Vor allen Dingen das Team, das ist halt wirklich ein sehr gut funktionierendes Team, was es einem leichtmacht, sich hier einzufügen. Dann ist es natürlich von Vorteil, wenn man nach Hause kommt und da so ein bisschen Erdung durch die Kinder, durch die Familie, durch die Frau erfährt. Das läuft auch ganz gut mit der Erdung, da ist man ganz schnell wieder im Alltag. Und was hier auch ganz besonders ist, dass man einfach mehr über die Patienten und das, was einen beschäftigt, reden kann. Ich komme immer wieder auf mein altes Leben zurück im Akutkrankenhaus, das ist halt hier schon ein sehr entschleunigter Alltag. Das ist nicht so, dass wir hier die Füße hochlegen, hier ist genug zu tun und man hat genauso den Eindruck, dass man mit der Arbeit nicht fertig wird, aber die Gewichtung ist einfach eine andere und hier werden die Probleme, die man als relevant sieht und die die Familien als relevant sehen, denen wird auch deutlich mehr Zeit eingeräumt. Und das ist sehr, sehr angenehm.