Hier ist das Interview mit der Oberärztin Dr. Mandira Reuther zum Nachlesen:

„Ohne Liebe ist alles nichts!“ Warum ist diese Haltung so wichtig?

Mandira:

Die Liebe ist meines Erachtens die Grundlage allen menschlichen Zusammenseins. Liebe ist das, was Familien zusammenhält, meistens jedenfalls. Und nun liebt man natürlich nicht jede und jeden, dem man so im Alltag auf der Straße begegnet, doch hat man meistens eine liebevoll zugewandte Grundhaltung inne. Und letztlich ist sie, denk ich, das, die Nächstenliebe, was uns antreibt, wenn wir hier jeden Tag zur Arbeit herkommen. Dass wir uns liebevoll zuwenden, den Menschen, die sich in Notsituationen an uns wenden, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion, was auch immer.

Welchen medizinischen Herausforderungen musst Du Dich täglich stellen?

 Mandira:

Ein Teil unserer medizinischen Herausforderungen ist sicher, dass wir viele Patient:innen versorgen, die z.B. an seltenen Erkrankungen leiden oder aber auch die Symptome haben, für die es in der Regel keine etablierten Therapie-Schemata gibt, wo man also nach einer bestimmten Reihenfolge vorgeht, so dass das sehr individualisiert herausgearbeitet wird. Dann ist es nicht direkt eine medizinische Herausforderung aber auch eine Herausforderung, dass wir ja nie heilen können. Das ist Grundlage unserer Arbeit, aber das macht ja trotzdem was mit Menschen. Sowohl mit denen, die hierher kommen in Not als auch mit denen, die hier arbeiten.

Welchen menschlichen Herausforderungen musst Du Dich täglich stellen?

 Mandira:

Das ist glaube ich tatsächlich sehr unterschiedlich. Also, ein Teil ist für unsere Arbeit im Team, dass viele der Patient:innen, die wir hier versorgen, extrem leidvolle Symptome zeigen, die sehr, sehr schwer aushaltbar sind – auch für uns, obwohl wir ja als professionell Helfende ja auch nach acht Stunden in der Regel wieder gehen können – aber das ist eine große Herausforderung. Nicht hilfreich zu sein, also natürlich gibt es nicht immer tolle Erfolge sozusagen, nicht immer sind wir hilfreich – das ist auch schwer auszuhalten, glaube ich, für ein Team, das antritt, dafür hilfreich zu sein, in der Medizin will man helfen, das ist auch schwer aushaltbar. Ich würde für mich persönlich noch sagen, so in meiner Rolle, dass ich auch manchmal eine Herausforderung finde, dass ich mir wünsche, dass in erster Linie natürlich die Familien, die wir versorgen, sich wohlfühlen, sich aufgefangen fühlen, aber es soll ja auch allen, die hier arbeiten, ganz egal in welcher Rolle, es sollen sich alle wohlfühlen. Und sie sollen alle gut arbeiten können und – ich bin natürlich nicht der Chef, ist ja klar – aber trotzdem sehe ich das als meine Aufgabe an, dass wir hier eine Atmosphäre schaffen, in der alle gern zur Arbeit kommen, in der alle ihre Arbeit guttun können und in der alle alles sagen können.

Was gibt Dir beruflich und privat Halt?

Mandira:

Beruflich ist das ganz klar das Team. Also die Art und Weise, wie wir hier miteinander arbeiten, wie wir miteinander umgehen und die Atmosphäre, die wir hier zusammen gestalten, das motiviert mich total. Also ich komme jeden Tag, seit Jahren, gerne zur Arbeit, weil das hier so ist wie es ist. Privat ist es so, dass vor allem mein soziales Umfeld mir Kraft und Halt gibt, also Familie, Freunde. Dass sie mich auch so nehmen wie ich bin. Manchmal zieht die Arbeit hier auch viel Energie, und wenn ich dann nach Hause komme, brauche ich manchmal auch viel inneren Rückzug, um in mein eigenes Lot zu kommen sozusagen, und dass da alle gut mitgehen können. Dann gibt mir auch Kraft, mit Menschen zusammen zu sein, aber auch in der Natur zu sein, mit Tieren zusammen zu sein, aktiv zu sein.

Wie wichtig ist das multiprofessionelle Team für Dich?

Mandira:

Das multiprofessionelle Team ist tatsächlich alles für mich. Das ist das, was mich hier so motiviert, was ich hier so gut finde. Wir arbeiten hier in der Regel immer zusammen, also man ist nie allein unterwegs, sondern wir arbeiten zusammen, wir tauschen uns ganz viel über alles aus und wir ringen auch ganz oft zusammen, um die bestmögliche Lösung zu finden, die ja häufig nicht vor einem liegt. Wir streiten uns da auch mal drüber und das finde ich total wertvoll. Das können wir immer tun, ohne dass irgendwie Nähe oder Vertrauen verloren geht. Deswegen finde ich das so wertvoll. Dann ist es auch so, dass durch diese unterschiedlichen Professionen, ganz verschiedene Blickwinkel auf ein und dieselbe Familie geworfen werden, ich habe ja nur meinen eigenen. Ich lerne dadurch ganz oft total viel, gerade von den therapeutischen Berufsgruppen, also auch Kunst- und Musiktherapie und Ergotherapie, die noch mal ganz anders auf Familien, Patient:innen gucken. Das finde ich unglaublich bereichernd. Und ich glaube auch, dass die Arbeit, die wir machen, deswegen so gut ist, weil wir all diese unterschiedlichen Blickwinkel zusammenwerfen und daraus versuchen hilfreiche Strategien mit den Familien zu entwickeln.

Was beeindruckt Dich an Deinen Patient:innen und ihren Familien am meisten?

Mandira:

Ganz spontan ist mir als erstes eingefallen, ihre Kraft. Die Kraft, sich immer wieder allem zu stellen, auch wenn man eigentlich keine Kraft mehr hat. Darüber hinweg zu gehen, das finde ich oft beeindruckend. Und oft frage ich mich auch, ob ich, wenn ich in der Situation wäre, das schaffen würde. Ich habe auch schon oft gedacht, ich glaube ich würde daran zerbrechen und deshalb habe ich unglaublichen Respekt davor, wo die Menschen das hernehmen. Mich beeindruckt aber auch ihre Kompetenz sich in all diese komplexen, schwierigen Lebenslagen immer wieder einzufügen, sich immer wieder einzuarbeiten, auch wenn man eigentlich keine Energie mehr hat, sich nicht unterkriegen zu lassen. Und es gibt noch was ganz anderes, was mich auch sehr beeindruckt, ist dass wir, dass wir oft eine große emotionale Nähe haben dürfen als professionell Helfende zu den Familien. Wir sind ja Fremde letztlich. Sich so zu öffnen und uns teilhaben zu lassen, finde ich überhaupt nicht selbstverständlich, da ziehe ich immer meinen Hut vor.

Wie lauten Deine Wünsche für das Kampagnen-Jahr und darüber hinaus?

Mandira:

Ich wünsche mir für unsere Arbeit hier im Kinderpalliativzentrum, dass wir uns unsere Haltung und liebevolle Zuwendung in der Versorgung bewahren können, auch wenn heute manchmal die Ökonomisierung im Gesundheitswesen einen sehr großen Platz einnimmt. Dann wünsche ich mir noch für uns als Team, dass wir uns die Leichtigkeit und das Lachen bewahren können, dass wir uns auch weiterhin alle miteinander gut im Blick haben können, sodass jeder gerne zur Arbeit kommt, weil ich überzeugt bin, dass wir Familien nur gut helfen können, wenn es uns auch gut geht. Und dann wünsche ich mir natürlich, dass wir auch in Zukunft weiterhin möglichst vielen Familien Unterstützung und Hilfe sein können in den Krisensituationen, die sie erleben.